Mehr Mensch!
„Das Wesen sozialer Arbeit und Erziehung droht ‚auf der Strecke zu bleiben‘, mindestens jedoch ökonomisch zu mutieren und den Menschen aus den Augen zu verlieren.“ Ein hartes Urteil gegenüber der Sozialwirtschaft. Doch Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin, weiß, wovon er spricht.
Mit literarischem Feingefühl und handfester Praxisnähe legt Schneider den Finger in die Wunde: An jeder Ecke werde von Professionalisierung gesprochen, eigentlich sei aber nur eine Schematisierung und Instrumentalisierung der Menschen gemeint. Anders gesagt: Die Stempeluhr ist längst schon in der Pflege angekommen und dort, wo eigentlich menschlicher Kontakt im Vordergrund steht, geben Skalen zur Qualitätssicherung, Erfolgsindikatoren und minutengenaue Arbeitsvorgaben den Takt an. Kurzum: Der Taylorismus scheint mit wehenden Fahnen die Nächstenliebe aus Wohlfahrt und Sozialwirtschaft zu verbannen.
Doch was zu viel ist, ist zu viel. Schneider stellt sich mit wackerer Sachkenntnis der Kulturkrise in der Sozialwirtschaft. Er zeigt mit sprachgewaltigem Hintergrundwissen den wahnwitzigsten Wirtschaftsprognostikern die Stirn und nimmt mit spitzem Wortwitz auch hartgesottenen Sozialromantikern den Wind aus den Segeln.
So lohnt sich das Buch nicht nur für Leidtragende „Kunden“ und Mitarbeiter aus der Sozialwirtschaft. Es bietet auch für jene einen klaren Blick auf die Situation der Wohlfahrt, die weder Experten der Sozialwirtschaft noch Freunde pauschaler Kapitalismuskritik sind. Die faktenorientierte und kritische Perspektive des Fachmanns liefert saubere Argumente und ist auf jeden Fall eine Bereicherung. Zahlen und Durchblick inklusive.
Paul Stadelhofer
Ulrich Schneider. Mehr Mensch! Gegen die Ökonomisierung des Sozialen.
Westend Verlag. 2014. 157 Seiten.
ISBN 9783864890796. 13,99 €