Tyark Thumann: Journalisten wissen wenig über Fundraising
Darum geht‘s: Fundraising, Medien, Spendenskandal, Journalisten
Medien berichte immer wieder gern über Vereine und Stiftungen. Der Tenor hat sich nach Meinung von Tyark Thumann aber immer mehr auf Skandale und negative Berichterstattung verschoben. Wir sprachen mit ihm über das schwierige Verhältnis von Journalisten zum Fundraising und wie er das Bild von NGOs in der Öffentlichkeit stärken würde.
Herr Thumann, seit 2012 kommentieren Sie Berichte über Non-Profit-Organisationen (NGOs), Fundraising, Spenden und Spendern. Welche Medien berichten besonders gern über Spendenwerbung?
Die Leitmedien. Mir ist aufgefallen, dass regionale Medien regelmäßig vor den typischen Trickbetrügern und Sammelbanden auf der Straße warnen, sie kündigen aber auch Sammelaktionen an und sie berichten gern über Spenden und ihren Nutzen. Berichte über Spendenwerbung habe ich vor allem in überregionalen bzw. in den Leitmedien gefunden, also von der ARD bis zur ZEIT. Diese Berichte basieren allzu oft auf negativen Klischees und erstaunlicher Unkenntnis. In Österreich und in der Schweiz ist das Phänomen ähnlich, aber weniger drastisch als in Deutschland. In den USA wurde der Charity Defense Council gegründet, um NGOs gegen Desinformationen zu verteidigen.
Autoren wissen wenig über Fundraising
Was motiviert diese Journalisten dazu, gemeinnützige Organisationen negativ darzustellen?
Diese Frage sollten wir den Journalisten stellen. Der Trend zur Skandalisierung ist nicht mehr neu und er beschränkt sich nicht auf NGOs. Inzwischen gibt es auch journalistischen Widerstand, z.B. die medienkritische Redaktion von „Zapp“ und den konstruktiven Journalismus von „perspective-daily“. Soweit ich es ca. 400 Berichten über NGOs und Spenden aus den letzten vier Jahren entnehmen kann, wissen diese Autoren sehr wenig über Fundraising. Verständnis für grundlegende Zusammenhänge ist kaum erkennbar. Autorenteams sind selten. Kaum jemand hat mehr als einen Artikel zum Thema geschrieben. Ich frage mich, woher diese Experten ihre Expertise haben. Arne Peper berichtet, dass viele Autoren dieser Artikel sehr jung sind. Im Sinne des eigenen Erlebens ist also auch fraglich, wie viel eigene Erfahrung die Autoren mit dem Spenden haben.
Berufseinsteiger sind günstiger als erfahrene Redakteure. Glauben Sie, dass es auch ökonomische Gründe gibt?
Sicher ist, dass NGOs keine Juristenteams haben, um sich gegen Pseudoskandale zu wehren. Vermutlich birgt es wenig Risiko, wenn man behauptet, dass Greenpeace viele Millionen Euro mit Finanzspekulationen verzockt. Wer würde es wagen, einen derartigen Pseudoskandal über einen großen Konzern zu verbreiten. Deren juristische Abteilungen würden dem Verlag sofort den wirtschaftlichen Schaden der Falschmeldung in Rechnung stellen. Mir scheint, NGOs zu skandalisieren, ist relativ ungefährlich und kostet nicht viel Zeit. Es ist leicht verdientes Geld.
Gibt es keine neutralen oder positiven Berichte über Fundraising?
Doch. Lokal- und Regionalzeitungen berichten anscheinend ganz gern über Projekte, die mit Spenden realisiert werden. Wenn man die Freiwillige Feuerwehr, die Kletterwand oder den Kulturverein kennt, liegt die Lust zum Skandalisieren nicht so nahe. Aber in den Leitmedien wird Fundraising nahezu ausschließlich negativ dargestellt. Hier finden wir Desinformationen in vielen Varianten.
Leitmedien berichten vornehmlich negativ
Was kritisieren die Leitmedien?
Sie kritisieren, das gute Arbeit für gemeinnützige Ziele nicht kostenlos ist. Erinnern Sie sich an die Podiumsdiskussion unseres letzten Fundraisingkongresses in Berlin? Die Moderatorin wollte die Ehrenamtlichen gegen die Hauptamtlichen ausspielen. Sie hat sich sehr um Bestätigung dafür bemüht, dass Ehrenamtliche bessere Menschen sind. Eine Phoenix-Moderatorin! Das hat mich wirklich verblüfft. Den typischen Klischees zufolge, sind Organisation, Management und Fundraising nur „Verwaltung“ und Verwaltung ist Verschwendung. Die Klischees zeigen sich schon in der Sprache. ARD: „Wenn Models auf Spendenjagd gehen“, Arte: „Im Dickicht der Spendenindustrie“, Die ZEIT: „Betteln will gelernt sein, etc., die Liste der bizarren Berichte ist lang. Sogar gegen das Spenden wird polemisiert. Die Süddeutsche berichtete 2016 über Fehler in der Entwicklungspolitik und Probleme der Katastrophenhilfe. Statt einer Headline zum Thema lesen wir in großen Lettern: „Wenn Spenden schadet“.
Was macht das Thema Spendenwerbung für die Medien interessant?
Da es keine wissenschaftlichen Fakten zur Motivation dieser Journalisten gibt, kann ich nur mutmaßen. Interessant ist das große Publikum von mehr als 20 Millionen Spendern in Deutschland. Plausibel ist das geringe juristische und ökonomische Risiko. Plausibel ist die zurückhaltende Kritik kultivierter Fundraiser und die Tatsache, dass die Kollarteralschäden der Berichte noch nicht quantifiziert sind. Vielleicht ist das Thema interessant, weil sich auch Journalisten manchmal fragen, warum sie noch nicht spenden? Wir wissen es nicht. Ganz sicher ist: Das Erzählmotiv ist sehr sexy! Es ist der Glaube an den Wolf im Schafspelz und die Lust, diesen Wolf enthüllen. Die Geschichte ist märchenhaft. Helden entzaubern und Wölfe enthüllen, ist journalistische Erotik.
Kein Trend zu besserer Berichterstattung
Wie sehr beeinflussen die negativen Klischees das Spendenverhalten?
Leider gibt es dazu noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Erfahrene Spender lassen sich von den Skandalisierungen anschienend nicht so leicht beeindrucken. Aber auf Nichtspender hat die ewige Wiederholung der negativen Klischees wahrscheinlich eine große Wirkung. Wer Gespräche mit Nichtspendern führt, ist mit diesen Klischees konfrontiert: Das Geld kommt nicht an. Verwaltung ist Verschwendung. Spendenwerbung ist nutzlos. An Ihre Frage schließt sich deshalb die Frage an: Woher kommt die drastische Kostensteigerung in der Neuspender-Gewinnung? Dienstleister, Lohnkosten und Rohstoffe sind meines Wissen nicht die Ursache. Also stellt sich die Frage: Können Hunderte von Negativberichten in seriösen Leitmedien bei einem so großen Publikum ohne Wirkung bleiben? Zumal die übelsten Klischees auch von der Unterhaltungsindustrie adaptiert und multipliziert werden. In Spielfilmen erscheinen NGOs als Betrüger, saufende Luxusluder, Kinderschänder, Mörder und Terroristen. Wie viele Menschen werden abgeschreckt? Ein paar Tausend, ein paar Hunderttausend oder mehr?
Laut Spendenmonitor setzen sich Spendenskandale nicht in den Köpfen fest und eine Sentimentanalyse, die gerade vom Fundraisingverband veröffentlicht wurde, vermittelt den Eindruck, dass die Berichterstattungen über Spenden in der Masse positiv sind. Ist Ihre Medienkritik übertrieben oder sogar gegenstandlos?
Tatsächlich deutet Vieles darauf hin, dass sich erfahrene Spender von den Pseudoskandalen nicht so leicht irritieren lassen. Und wer hat je die Erfahrung gemacht, von Spendenmodels gejagt zu werden? Die Sentimentanalyse ist keine qualitative, sondern eine, quantitative Untersuchung. Selbst der herbe FAZ-Verriss gegen Wikipedia wäre nicht negativ aufgefallen. Die Analyse beleuchtet den kurzen Zeitraum vom 15. Dezember bis 13. Januar. In dieser Zeit gibt es normalerweise keine Spendenskandale und Verrisse. Ein Trend zu besserer Berichterstattung über NGOs in den Leitmedien lässt sich aus den Ergebnissen nicht ablesen. Auch der Charity Defense Council und andere Kollegen melden keine Entwarnung. 2016 war weitaus weniger krass als 2015, aber wahrscheinlich nur eine Feuerpause.
Mehr Aufklärung könnte helfen
Wie könnte man die Skandalisierungen stoppen und die „Kultur des Gebens“ fördern?
Mit Aufklärung. Redaktionen, die über NGOs und Fundraising schreiben, müssen deutlich mehr darüber wissen, wie NGOs funktionieren. Immerhin: Nach unserer Kritik wurde in keinem Leitmedium das Totschlagwort „Spendenindustrie“ wieder verwendet. Wenn die Redaktionen ihrer Verantwortung gerecht werden und unserer Zivilgesellschaft nicht schaden wollen, müssen Fakten und grundlegende Erkenntnisse in ihren Berichten eine größere Rolle spielen.
Also Whitepapers, FAQ-Texte, Pressemeldungen und Pressekonferenzen. Wird das ausreichen?
Vermutlich nicht. Die Klischees sind mindestens so alt wie der „Neue Heimat“-Skandal. Ich glaube, ohne eine mehrjährige Kampagne werden wir die alten Bilder nicht verdrängen können. Ich glaube auch, dass wir den Unterhaltungssektor nicht ignorieren sollten. Ich weiß nicht, ob wir einen Charity Defense Council brauchen, aber eine starke Kampagne brauchen wir sicherlich, um den Blickwinkel von Journalisten und Drehbuchautoren auf NGOs zu verändern.
Wie ist eine Kampagne für die Kultur des Gebens realisierbar?
Der DFRV hat eine Mitgliederbefragung gemacht, die als Grundlage dienen kann, es gibt gute Ideen und es wird mehr Arbeitskraft geben. Die Kampagne muss sagen, warum wir um Spenden bitten müssen. Sie muss zeigen, dass Ethik unser Leitmotiv ist. Sie darf auch fragen, in welchem Deutschland wir leben wollen. Was bräuchten unsere NGOs, um drängende Probleme zu lösen? Was bräuchten sie z.B., um kulturelle Ängste mit Kultur zu lösen? Die Kampagne könnte sehr interessante Fragen stellen! Selbstverständlich wird auch diese Kampagne etwas Geld kosten, wenn sie eine Wirkung zeigen soll. Eine Schlüsselfrage ist also die Fundraiserfrage: Wie können wir die erste Kampagne finanzieren?
Text: Kurt Manus
Foto: privat
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