David Schraven: „Warum reden alle immer übers Geld?“
Darum geht‘s: Crowdfunding, Journalismus, Deutscher Reporterpreis
„Correctiv“ ist ein journalistisches Experiment, das von sich reden macht: Die Redaktion ist gemeinnützig, komplett über Spenden finanziert und preisgekrönt. Seit der Gründung 2014 deckte das Recherchebüro zahlreiche Skandale auf und wurde unter anderem mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Mit David Schraven, dem Kopf hinter „Correctiv“, sprach Peter Neitzsch über Fake-News und die Notwendigkeit einer redaktionellen Gesellschaft.
Herr Schraven, Sie haben eine lange Reporter-Karriere hinter sich, zuletzt als Ressortleiter für Recherche bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) und der Funke Mediengruppe. Warum haben Sie so eine sichere Position für ein Abenteuer wie „Correctiv“ aufgegeben?
In meinem Arbeitsumfeld fehlte es an Möglichkeiten, Journalismus so zu entfalten, wie ich das gerne wollte. Bei einer Zeitung richtet sich alles nach den Formaten, die man befüllen muss, also im Zweifel nach der Anzahl der Zeilen. Bei einem regionalen Fokus ist es außerdem nicht möglich, Geschichten zu recherchieren, die über das Verbreitungsgebiet hinausgehen. Wenn eine Recherche von Emden aus nach Thüringen und von dort nach Palermo führt, ist das mit einer Regionalzeitung schwer zu machen. Da fehlen oft die Mittel, eine Story zu Ende zu recherchieren. Das ist bei „Correctiv“ anders: Wir recherchieren erst fertig und danach suchen wir uns das passende Format, um den Stoff aufzubereiten. Sei das für eine Zeitung, ein Magazin, für Online oder fürs Fernsehen.
Wie kam es schließlich zur Gründung des Recherchebüros, das die Brost-Stiftung 2014 mit einer Finanzierung von drei Millionen Euro angeschoben hat?
Die Planungen dauerten ungefähr zwei Jahre. In dieser Zeit haben wir uns überlegt, was klug ist und was wir konkret machen wollen. Uns war von Anfang an klar, dass wir auch an den Methoden arbeiten müssen. Deshalb wollten wir mit „Correctiv“ auch ein Bildungsprogramm anstoßen. So etwas wäre mit einer klassischen Redaktion nicht möglich gewesen. Wir konnten dann die Brost-Stiftung der WAZ-Gründerfamilie davon überzeugen, dass das ein guter Plan ist.
Jetzt gibt es viele Stimmen, die fordern, dass Journalismus gemeinnützig werden sollte. Noch ist es aber nicht so weit. War das Weiterbildungsprogramm auch nötig, damit „Correctiv“ vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt wurde?
Darum ging es uns nicht in erster Linie. Unser Anliegen ist es, Wissen weiterzugeben. Eine Möglichkeit dazu ist unser Bildungsprogramm, etwa zu Auskunftsrechten gegenüber Behörden. Eine andere besteht darin, die Informationen, die wir durch unsere Arbeit erhalten, so aufzubereiten, dass die Menschen daraus etwas lernen können. Wir veranstalten also keine Workshops, nur um die Gemeinnützigkeit zu bekommen.
Welche Recherchen konnte „Correctiv“ seit der Gründung umsetzen?
Es gibt schon einige Recherchen, auf die wir ziemlich stolz sind. Gut gefallen hat mir etwa das Projekt „Euros für Ärzte“. Dabei machen wir öffentlich, welche Mediziner Geld von Pharmaunternehmen erhalten. Seit einiger Zeit recherchieren wir auch zum Klimawandel und zwar nicht zur Frage, was könnte in Zukunft passieren, sondern dazu, was heute bereits los ist. Dann haben wir auch ein sehr langfristig angelegtes Rechercheprojekt zur neuen Rechten in Deutschland. Daraus soll demnächst ein Buch entstehen.
Die Brost-Stiftung ist der größte Geldgeber. Wie finanzieren Sie Ihre Arbeit außerdem noch?
Am Anfang hat uns die Brost-Stiftung zu 100 Prozent finanziert. Das hat sich aber im Laufe der Jahre verändert. Wir haben jetzt vier große Einkommensströme: Am wichtigsten sind unsere rund 2200 Fördermitglieder, die bereits 20 Prozent des Etats ausmachen. Das ist vor allem langfristig bedeutend, weil Förderer uns auf Dauer tragen. Dann unterstützen uns weiterhin Stiftungen: Neben der Brost-Stiftung mit einem Viertel des Etats sind das etwa die Rudolf-Augstein-Stiftung und die Schöpflin-Stiftung. Daneben gibt es auch Fördermittel für konkrete Projekte, so finanziert die Bundeszentrale für politische Bildung unsere Workshops. Außerdem haben wir den Geschäftsbetrieb in einen kleinen Verlag ausgelagert, über den wir unsere Bücher vermarkten und der rund 30 Prozent zum Etat beiträgt.
Wie viel Zeit verwenden Sie für die Mittelbeschaffung? Haben Sie einen Fundraiser im Team oder läuft das eher über persönliche Kontakte etwa zu den Stiftungen?
Das ist ganz unterschiedlich: Wir kümmern uns um jeden Einkommensstrom anders. Bei den Fördermitgliedern machen wir permanent Kampagnen, um Menschen zu überreden, uns zu unterstützen. Das läuft vor allem über unsere Social-Media-Mitarbeiter. Bei den Großspendern geht viel über persönliche Kontakte, die in erster Linie ich pflege. Bei der Projektfinanzierung entwickeln wir zunächst das Projekt: Wenn wir eine Idee haben, schreiben wir dazu ein Konzept. Im nächsten Schritt schauen wir, wer das finanzieren könnte. Für den gewerblichen Teil haben wir jetzt einen Prokuristen angestellt.
Das klassische Geschäftsmodell im Journalismus über Anzeigen und Verkäufe steht unter Druck. Könnte „Correctiv“ auch ein Modell für andere Redaktionen sein?
Ich glaube, wir sind nur ein Modell unter vielen. Etliche Projekte würden in klassischen Medien nicht funktionieren, weil die formatgetrieben denken. Vieles von dem, was wir machen, ist aber nicht auf ein Format festgelegt. Wir haben einmal dazu recherchiert, wie der Handel mit Flüchtlingen organisiert ist. Wer verdient daran, dass Menschen übers Mittelmeer kommen? Schließlich ist dann ein Theaterstück daraus geworden. Das wäre in einem traditionellen Medium nie möglich gewesen. Andere Aspekte könnten dagegen durchaus ein Modell sein: Ich halte zum Beispiel Crowdfunding für einen sehr geschickten Weg, Recherchen zu finanzieren, die eine Redaktion allein nicht stemmen kann.
Auf der „Correctiv“-Website bieten Sie Journalisten an, Rechercheprojekte mittels Crowdfunding zu finanzieren. Was macht eine gute Crowdfunding-Kampagne aus?
Das machen wir sehr regelmäßig. Das ist zwar aufwendig, aber es funktioniert sehr gut: Wir haben eine Erfolgsquote von 60 Prozent und insgesamt knapp 100 000 Euro eingeworben. Ob eine Kampagne Erfolg hat oder nicht, hängt gar nicht so sehr vom Thema ab. Ein Erfolgsfaktor ist viel mehr die Personalisierung: Der Reporter muss im Mittelpunkt stehen. Daneben sollte es ein Thema sein, dass für viele Menschen relevant ist. Schließlich muss klar sein, dass die Arbeit auch zu einem Abschluss kommt. Das Ergebnis der Recherche ist natürlich offen, aber das Produkt, das am Ende steht, muss vorher feststehen. So haben wir etwa eine Recherche zu den Folgen der Gezi-Proteste in Istanbul finanziert. Eine andere widmete sich der Frage: Was passiert mit den Hilfsgeldern für Syrien? Das ist eine klar umrissene Frage, die sich auch beantworten lässt. Und es ist auch vorher klar, wie viel so eine Recherche kostet. Crowdfunding funktioniert immer dann, wenn es konkret und einfach ist.
Freie Journalisten klagen über immer niedrigere Honorare. „Correctiv“ überlässt großen Redaktionen wie dem „Spiegel“ Recherche-Ergebnisse gleich ganz ohne Bezahlung. Entwertet das die journalistische Arbeit nicht auch?
Das halte ich für Unsinn: Wir bezahlen ja unsere Reporter. Ich finde auch diese Fixierung auf das Finanzielle sehr interessant: Vielen scheint das Geld wichtiger zu sein als die Sache. Das ist für mich nur schwer nachvollziehbar, denn mir geht es um Inhalte. Ich bin nicht Journalist geworden, um viel Geld zu verdienen, sondern um gute Geschichten zu machen.
Für Facebook haben Sie jetzt die Aufgabe übernommen, Fake-News auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Wenigstens dafür könnten Sie doch Geld verlangen?
Da stellt sich aber auch die Frage: Wie macht man sich denn da von Facebook abhängig? Wenn ich in ein Dienstleistungsverhältnis gehe, dann hat mein Auftraggeber plötzlich Ansprüche an meine Arbeit, die ich erfüllen muss. Was weiß ich denn, wie Facebook drauf ist? Wenn ich von denen kein Geld nehme, können die auch keinen Druck auf mich ausüben. Mir ist auch klar, dass man so eine Arbeit nicht auf Dauer kostenlos machen kann. Aber man sollte nicht immer als Erstes nach der Bezahlung fragen: Warum reden alle immer übers Geld statt über Inhalte? Wir haben jetzt ein akutes gesellschaftliches Problem, das wir lösen müssen – gerade in Wahlkampfzeiten. Da muss man handeln, und das machen wir.
Wie sehen Ihre Förderer und Spender das Engagement auf Facebook? Schließlich finanzieren diese ja Ihre Arbeit. Gibt es da viel Kritik?
Wir haben am Anfang auch mit unseren Mitgliedern viel darüber diskutiert und ein paar haben auch gekündigt, aber am Ende hat die Mehrheit gesagt: Wir finden das gut und wir unterstützen das.
Warum sind Fake-News so gefährlich für den Journalismus? Reicht es nicht, der Gerüchteküche im Netz klassische journalistische Tugenden entgegenzuhalten?
Das Problem ist, dass journalistische Arbeit nicht dort wahrgenommen wird, wo Fake-News verbreitet werden. Es macht also wenig Sinn, an der Universität eine Studie über den Wahrheitsgehalt journalistischer Artikel zu veröffentlichen. Das liest niemand. Stattdessen muss man dahin gehen und journalistische Arbeit dort erbringen, wo das Problem ist – und das ist nun mal auf Facebook. Was die Methoden betrifft, bin ich ja ganz bei Ihnen: Das ist klassisches journalistisches Handwerk, mit dem wir die Gerüchte entlarven wollen.
Gemeinsam mit „Spiegel“-Reporter Cordt Schnibben haben Sie die Reporterfabrik ins Leben gerufen. Dort soll jeder das journalistische Handwerkszeug lernen können. Was bezwecken Sie damit?
Wir haben bei „Correctiv“ von Beginn an mit Bildungsmethoden gearbeitet, weil wir glauben, dass wir eine gesellschaftliche Veränderung brauchen. Am Ende der Digitalisierung und der Demokratisierung der Kommunikationsmittel muss eine redaktionelle Gesellschaft stehen. Dafür müssen die Methoden der Informationssammlung und -aufbereitung möglichst vielen Menschen zugänglich sein. Damit sie lernen, verlässliche Quellen zu erkennen. Wie lässt sich ein Gerücht von einer glaubwürdigen Information unterscheiden? Wenn wir es hinbekommen, dieses Wissen an 50 000 oder 100 000 Menschen weiterzugeben, dann können wir auch das Problem von Desinformation und Propaganda in den Griff bekommen. Hinzu kommt: In einigen Teilen Deutschlands, etwa in Mecklenburg oder im Sauerland, gibt es auch Städte und Dörfer ohne lokale Medien. Deswegen müssen die Bürger in diesen Regionen selbst zu Aufklärern werden. Dafür bieten wir etwa Online-Tutorials an, die zu Kursen zusammengefasst werden. Später soll es auch Präsenz-Workshops geben.
Interview: Peter Neitzsch
Foto: PR
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