Eiserner Vorhang konnte Philantropie nicht stoppen

Gregory Witkowski Berlin

Was können Fundraiser aus der Geschichte lernen?

Die Geschichte der Philanthropie kann zahlreiche Erkenntnisse bieten. Aus einer weiten Perspektive bietet die Geschichte Non-Profit-Profis die Mittel, um Trends im Spendermarkt innerhalb eines weiteren gesellschaftlichen Kontextes zu begreifen. Sie bietet ein Mittel, um den Impact des philanthropischen Gebens zu analysieren. Durch das Studium der Geschichte sehen wir, was geholfen hat einen Wandel zu schaffen. Auf der Programm-Ebene kann dieser Wandel auf konkrete Ziele bezogen werden, wie zum Beispiel den Effekt auf die Ausbreitung einer Krankheit, oder auf generellere Ziele, wie zum Beispiel die sich wandelnde Sichtweise auf Immigration. Ganz konkret kann die Geschichte Fundraisern dabei helfen, die Geschichte ihres Anliegens zu erzählen. Es ist die Essenz des Fundraisings, die Wirkung von Spenden in gesellschaftlichen Effekten zu zeigen. Dieses Ziel verträgt sich gut mit der Geschichte, da sie sowohl den Wandel über die Zeit hinweg und die Gründe für diesen Wandel offenlegt. Das führt zum letzten großen Punkt in der Geschichte. Sie zeigt nicht nur Erfolge und Misserfolge, sondern bietet auch einen Narrativ, ein Mittel fürs Storytelling, das Fundraisern eine Hilfe ist. All diese Dinge kommen in einem historischen Ansatz zusammen.

Ist nicht auch vieles neu im Fundraising?

Ja, es herrscht ein Gefühl vor, dass alles im Fundraising neu ist, weil wir immer wieder neue Formen und Strukturen schaffen. Manche denken sogar Philanthropie sei neu. Dabei gibt es gerade in Deutschland eine große Tradition philanthropischen Gebens. Sie können sie bis zu den frühesten Stiftungen im Mittelalter zurückverfolgen. Das 19. Jahrhundert war von einem Boom von Stiftungsgründungen geprägt, die größtenteils durch die Deflation in den 1920er Jahren sowie nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelöscht wurden. Die Vorstellung, dass alles neu sei, ist falsch. Die Geschichte zeigt uns, dass es nicht vollkommen neu ist, was Menschen tun. Sie können ihre Arbeit damit sinnvoller in einer fortlaufenden Tradition einordnen und erkennen, dass die Philanthropie ein Teil der deutschen Kultur ist. Auf diese Art und Weise können Fundraiser ihren Spendern zeigen, dass die Deutschen schon seit Langem philanthropische Anliegen unterstützen.

Ihre Forschung konzentriert sich auf die Beziehung von staatlicher Macht und Philanthropie in der DDR. Was konnten Sie bislang entdecken?

Machen wir das zuerst einmal deutlich: Alle Stiftungen werden durch den Staat reguliert. Der rechtliche Rahmen ist immer präsent, und es wird auch immer ein staatliches Element geben. In der DDR sehen Sie eine stärkere Einbindung des Staates als normalerweise, was natürlich auch einen Effekt hatte. Der ostdeutsche Staat versuchte unabhängiges Engagement in der Bevölkerung zu unterdrücken und zerstörte viele Institutionen, welche die Autorität des Staates hätten untergraben können, das heißt, die Dienste anboten, die auch der Staat anbot. Nichtsdestotrotz war die DDR weder konsistent in Umsetzung dieses Ansatzes noch komplett erfolgreich. Das bedeutete, dass zum Beispiel einige Stiftungen, die vor dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden, durch die DDR-Zeit hindurch fort existierten, und dass sie in dieser Zeit hauptsächlich im Wohnungsbau oder in anderen lokalen Dingen tätig waren. Sie überlebten gerade noch so. Oder sie starben einen langsamen Tod, weil es nicht genug Geld für die Instandhaltung von Gebäuden gab und weil über die Miete auch nicht viel eingenommen wurde. Aber sie kämpften um ihren Fortbestand. Vom Standpunkt der Regierung aus waren sie keine Bedrohung. Zusätzlich zu diesen Stiftungen entwickelte sich das philanthropische Spenden für internationale Hilfe in der DDR.

Die DDR konnte die Philanthropie also nicht ganz unterdrücken?

Das stimmt. Um deutlich zu sein: Der Eiserne Vorhang schwächte die Philanthropie, aber er hielt sie nicht auf.

Half die internationale Entwicklungshilfe den Bürgern der DDR dabei eine neue Identität zu entwickeln?

Philanthropie ist ein personaler Akt, häufig eine Reflexion der individuellen Werte einer Person. Durch die Gabe bestärkt man seine Werte in einer Handlung. Den Ostdeutschen ermöglichte die Philanthropie, ihre Handlungen in einer globalen Umwelt zu begreifen – auch wenn sie nicht selbst in die bedürftigen Gebiete reisen konnten, konnten ihre Spenden zur Hilfe kommen. In diesem Sinne ermöglichte die Philanthropie ein Gefühl der Verbundenheit mit Entwicklungsländern und Solidarität mit den Menschen. Dieses Konzept der Solidarität, mehr Empathie als Sympathie, war wichtig für alle ostdeutschen Spendensammlungen, egal ob sie christlich, kommunistisch oder unabhängig waren. Sie versetzte die Ostdeutschen, die oft die Empfänger der Geschenke von Westdeutschen waren, in die Rolle des Spenders. Auf diese Weise sahen sich die Beteiligten in einem weiteren Kontext als der Ost-West-Teilung. Die Studenten sahen sich selbst zusätzlich so, als ob sie einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und sowjetischem Kommunismus ebneten. Die Philanthropie half ihnen eine neue Identität für sich selbst zu entwickeln, die sowohl den Kapitalismus als auch den Kommunismus wegen deren Effekt für die normalen Leute ablehnten.

Was lernen wir daraus über das Engagement in Ost-Deutschland?

Wir lernen, wie die ostdeutsche Gesellschaft strukturiert war: Es wurde viel gemacht mit offiziellen und gleichgeschalteten Organisationen, aber wenn sie wirklich etwas bewegen wollten, haben sie öfter in anderen Netzwerken gearbeitet. Es ist wichtig zu sehen, dass es im Osten immer noch ein solches Gemeinschaftsgefühl gibt. Ich gebe gerne zu, dass hier Evidenz sichtbar ist, da in Ostdeutschland weniger Engagement als in Westdeutschland vorhanden ist. Ostdeutsche sind eher nicht in einen Verein eingetreten, haben auf der anderen Seite aber ohne feste Form geholfen. Dieses Muster besteht nach der Wende fort. Neuere Studien zeigen, dass Bürgerstiftungen in Westdeutschland zwar mehr Vermögen haben, dass in ostdeutschen Bürgerstiftungen jedoch das Engagement höher ist. Diese semi-organisierte Herangehensweise an Philanthropie scheint Ostdeutsche also anzusprechen.

Wie können Fundraiser davon profitieren?

Beim Fundraising geht es darum, Leute zu begeistern. Manche suchen Evidenz und das ist alles, was sie wollen. Wenn sie aber erklären wollen, was Geld erreichen kann, reicht die Statistik nicht all zu weit. Sie wollen dazu in der Lage sein über die Ziele und die Mission einer Organisation zu sprechen und über ihre Wirkung im Lauf der Zeit. Ich persönlich mache mir nämlich Sorgen wegen der Konzentration auf Statistiken, weil sie nur gut darin sind, einzelne Outcomes wiederzugeben und einen generellen Fokus auf den Output legen. Bedeutet das, dass wir die Philanthropie nur zu jenen Zwecken bewegen, die von der Statistik erfasst werden können, oder sollten wir die Spenden nicht eher an gesellschaftlichen Bedürfnissen ausrichten?

Was sollten Spendenorganisationen also kommunizieren?

Fundraiser können ihren Spendern die verfügbaren Optionen erklären, um Elemente der Gesellschaft zu verbessern und um die Ziele auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen. Es obliegt Fundraisern als den Experten ihres Feldes, über messbare Wirkung zu sprechen, auf der anderen Seite aber auch anzuzeigen, dass einige Effekte erst nach Generationen sichtbar werden. So wie die Philanthropie in der DDR dem Staat dabei half seine Ziele und die internationale Anerkennung zu erreichen, hatte sie letzten Endes den Effekt die staatliche Bestrebung nach totaler Autorität herauszufordern. Auf diese Weise war eine ungeplante Folge der internationalen Solidarität der DDR, dass separate Handlungsspielräume geschaffen wurden.

(Bild: Paul Stadelhofer)

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