"Die meisten NPOs müssen sich einfach kreativ über ihre Kampagnen Gedanken machen"

Ole Seidenberg mit einem NFC Chip.

Ole Seidenberg beschäftigt sich aus soziologischer Perspektive mit der Frage, wie Non-Profit-Organisationen und Privatleute das “soziale Netz”, oder "Web 2.0" für soziales Engagement verwenden können. Er engagiert sich seit 2009 für das Projekt “Adopt a Negotiator” und hat unter anderem schon bei den Vereinten Nationen in New York und bei Nicht-Regierungs-Organisationen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit in West-Afrika gearbeitet. Im Interview mit unserem Autor Matthias Daberstiel erklärt Seidenberg welche Möglichkeiten er in den neuen Technologien sieht, welche Vorteile die Einbidung digitaler Medien in der Kommunikation bietet und welche Chancen er für Spenden per mobiler Endgeräte sieht.

Wo liegen die Stärken von Near-Field-Communication Chips (NFC)?

NFC ist in nahezu allen künftigen Smartphones eingebaut und wird als Zahlungsmittel-Technologie von Seiten vieler Banken, als auch von Telekom, E-Plus, Vodafone, O2 und Google massiv voran getrieben. Zur Anwendung von NFC ist keine weitere App erforderlich, ein aktiver Chip ist in den Telefonen bereits verbaut, bei Berühren eines passiven NFC-Chips an anderer Stelle wird direkt eine URL aufgerufen, über die dann zum Beispiel gespendet werden kann.
Da der NFC-Chip sich in seiner Reichweite auf 4 cm begrenzen lässt, ist im Gegensatz zu Bluetooth oder Wifi kein Spam zu befürchten, das "Berühren" des Anwenders erst löst bei entsperrtem Handy eine Aktion aus. NFC ist außerdem ziemlich robust, die Chips werden sogar für Socken verwendet, um Pärchen wiederzufinden, können also mit gewaschen werden. Ein Chip kostet im Einkauf zwischen 5 und 20 Cent, Kampagnen mit zum Beispiel 1000 Plakaten oder 5000 Spendendosen lassen sich also relativ kostengünstig ausrüsten, die Chips sind außerdem wiederbeschreibbar.

Warum wird die Entwicklung in Richtung mobiles Spenden gehen?

Ganz einfach: Wir werden weltweit tendenziell immer weniger Bargeld mit uns herumtragen und immer mehr mit dem Smartphone abwickeln, das wir ohnehin immer bei uns haben. Wenn wir weniger Bargeld in der Tasche haben, wird das Spenden via Mobiltelefon opportun. Wenn wir außerdem immer mehr Social Networks wie Facebook, News und Email-Aufrufe über das Smartphone aufrufen statt über einen Desktop-PC (und hier entsprechend auch vom spendenbedürftigen Haiti erfahre...), dann ist es die komfortabelste Art, direkt über das Handy auch spenden zu können statt das Smartphone zur Seite zu legen und einen anderen Weg zu wählen. Künftig wird das mobile Wallet (mobiler Geldbeutel) so integriert sein, dass ich vom Handy aus auch durchaus größere Summen spenden kann, aktuell geht dies bei twingle nur über die Handyrechnung bis zu 10 Euro. In einem Jahr wird sich dies in etwa ändern.

Mobil, Online und Offline. Es wird unübersichtlich. Wo liegt das Zusammenspiel. Gibt es Beispiele?

Letztlich müssen Fundraiser und Campaigner lernen, Abstand vom Schubladendenken in Mobil, Online und Offline zu nehmen. Am Ende kommuniziert ihre Organisation mit einer Botschaft X mit dem potentiellen Unterstützer Y, alles andere ist eine Darstellungsfrage. Die meisten Spender treffen in einer Woche mehrfach auf eine Organisation wie Amnesty oder Greenpeace und zwar crossmedial. Am Poster an der Bushaltestelle, dann auf dem Handy via Newsletter, dann als Fan auf Facebook, dann wieder daheim am Tablet auf dem Sofa. Hier künstlich zu trennen macht keinen Sinn. Vielmehr ist spannend, wie sich diese Schubladen gemeinsam zu einer Kommode formen lassen und das Wissen über das Verhalten an einem Device wiederum die Planung der Kampagne in einem anderen Medium bereichern kann. Man spricht hier auch von Multi-Screen und multi-contextual Design. Das Design der Webseite (mobil, Tablet und stationär) als auch der Print-Produkte wie Plakate, Straßenfundraiser und so weiter sollten in einander greifen und jeweils den Kontext des
Angesprochenen berücksichtigen.
So lassen sich mit NFC-Chips ausgerüstete Anzeigen in Print-Magazinen zum Beispiel fast genauso gut auswerten wie Google Adwords Anzeigen im Netz. Ich kann danach genau auswerten, zu welcher Tageszeit, mit welchen Geräten und mit welcher Spendensumme sich die Adressaten an meiner Kampagne beteiligt haben. Und wenn ich als Campaigner weiß, dass die NFC-Anzeigen in Hamburg signifikant oft zu Spenden geführt haben, macht es eben auch Sinn, in Hamburg ähnliche Plakate oder Google Anzeigen zu schalten, wie ich dies vorab im Magazin getan habe. Oder anders herum: Wenn ich weiß, dass jemand mir schon mobil gespendet hat, kann ich ihn beim nächsten Besuch am Rechner gleich anders begrüßen und den Anwender weiter in meine Kampagne einführen und zu einem langfristigen Unterstützer machen. All das ist technisch möglich.
Ein Beispiel dieses Zusammenspiels ist eine Kampagne, die wir im Landtagswahlkampf für die Grünen 2011 entwickelt haben: Online gab es eine Karte der Stadt Berlin, in die ich meine "Schmerzpunkte" als Berliner eintragen konnte. Ein fehlender Spielplatz, eine kaputte Fußgängerampel oder zu viele Spielcasinos, alles fand seinen Platz. Die Direktkandidaten aus den jeweiligen Bezirken hatten dann maximal 2 Tage Zeit, die gestellten Fragen zu beantworten. Die Plakatwerbung draußen war wiederum mit einer BIlderkennungs-App der Grünen auslesbar, so konnte man zu den Themen Bildung, Wirtschaft & Co direkt Statements von Renate Künast abrufen, was sie sich darunter vorstellte. Die Karte lebte ebenfalls auf dem Handy weiter: Mit derselben App ließen sich alle Einträge per "Augmented Reality" in der unmittelbaren Umgebung des Anwenders einsehen und weitere Punkte ergänzen, ebenfalls per Smartphone. Einige der eingetragenen Beschwerden nahm Renate Künast persönlich auf und besuchte die Betroffenen direkt vor Ort, die Berichterstattung hierzu erfolgte sowohl klassisch als auch auf Facebook, Flickr und YouTube. So spielte alles miteinander zusammen: Offline, Online und Mobil.

Welche Erfahrungen gibt es in anderen Ländern?
Insbesondere in Asien gibt es deutlich mehr Erfahrungen in der Anwendung von NFC und Bluetooth, ein schönes Beispiel ist Unicef Hongkong. Unicef rüstete einige seiner Freiwilligen mit NFC Chip-Aufklebern aus, die dann auch "bespendbar" waren, direkt mit dem Handy. So konnte jeder, der selbst gespendet hatte, sich wiederum einen solchen Aufkleber an das Hemdrevers kleben und damit weitere Freiwillige und Spender gewinnen, praktisch eine Übertragung der Facebook-Teilen und Empfehlen-Effekte auf die Straße.

Was sind die gravierendsten Veränderungen bei NPOs durch mobile Angebote?
Die meisten NPOs müssen sich einfach kreativ über ihre Kampagnen Gedanken machen: wo biete ich wirkliche Interaktion an? Warum sollte jemand mitmachen wollen? Und wie bereite ich meine Inhalte so auf, dass sie auch auf 3,5 oder 6 Zoll Bildschirmen noch attraktiv aussehen. Wie kann ich außerdem die mobilen Zusatzfunktionen effektiv für mein Fundraising nutzen? Greenpeace zum Beispiel kann Spendern darstellen, wie weit sie sich von einem Atomkraftwerk befinden, der Nabu kann die Kamera einsetzen und Vogelfreunde eigene Bilder einschicken lassen und so weiter und so fort. Die Vielfalt der Funktionen, die durch die Nutzung des Handys für Fundraising und Campaigning hinzu kommen, ist riesig. Leider aber denken viel zu wenige NPOs darüber aktiv nach, manche empfinden es gar als Belastung, hier einen weiteren Kanal bespielen zu müssen. In der Spenderverwaltung werden außerdem wertvolle Zusatzinformationen über das "Wo" des Spenders auflaufen, die bisher gar nicht bedacht wurden bei den Analysen.

Wo liegen die Chancen?
Die Chancen liegen in einer vernetzten Konzeption von Fundraising und Kampagnen-Maßnahmen, die über den Dualismus aus "On- und Offline" hinausgehen und vielmehr den Nutzer und seinen individuellen Kontext im Tagesablauf wieder in den Mittelpunkt der Analyse und Ansprache richten. Dadurch könnten sehr spannende zivilgesellschaftliche Kommunikationsabläufe entstehen. Man denke nur einmal daran, sämtliche Atomkraftgegner, die jemals mit bei einer Anti-Atomkraft-Aktion teilgenommen haben, könnten per Knopfdruck alle anderen anonym benachrichtigen, dass man sich in 5 Minuten am Brandenburger Tor versammeln solle. Die Nachricht würde dann an all jene gesendet, die sich gerade in der Nähe befänden und akut vorbei kommen könnten. Gewissermaßen besteht die Chance in dem Zurückholen der Magie des Netzes in die echte Welt. Aber auch die Gefahr, wenn wir dieses Spielfeld nur den kommerziellen Verwertern überlassen.

Ole Seidenberg schreibt unter anderem auf dem Blog SocialBlogger.de

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