Mit Politik und Partnern zum Kurswechsel in der Landwirtschaft

Hans Herren von der Stiftung Biovision

Der Schweizer Biologe Hans Herren wurde in diesem Jahr mit dem Right Livelihood Award, auch bekannt als alternativer Nobelpreis, für seinen Einsatz gegen Hunger und Armut ausgezeichnet. Der Gründer und Leiter der Schweizer Stiftung Biovision erklärt im Interview mit unserem Autor Paul Stadelhofer warum er einst 1,6 Millionen Wespen über den afrikanischen Kontinent verbreitet hat, wie er die weltweite Agrarwirtschaft verändern will und warum er seiner Ansicht nach den Preis gewonnen hat.

Wie haben Sie es geschafft den Right Livelihood Award zu gewinnen? Oder besser gefragt: Was sind Ihre derzeitigen Ziele und woran arbeiten Sie?

Ich habe die Stiftung Biovision vor 15 Jahren gegründet aufgrund meiner Erfahrung in Afrika. Erkenntnisse aus der Wissenschaft, also neue Technologien und auch Methoden, kommen eigentlich nicht sehr schnell zu den Bauern. Deshalb versuchen wir mit der Stiftung Biovision die Wissenschaft mit den Bauern zu verbinden und auch die Bauern mit der Wissenschaft. Wir wollen einen Kreis organisieren, in dem man sich trifft und Erfahrungen in beide Richtungen austauscht. Die Gründung von Biovision war nur möglich, weil ich 1995 den Welternährungspreis für meine Arbeiten in Afrika erhalten habe. Mit anderen Preisgeldern zusammen kam von dort das Anfangskapital.

Und seither haben Sie es geschafft ein Jahresbudget von 7 Millionen Schweizer Franken aufzubauen.

Angefangen haben wir mit etwa 350 Tausend Schweizer Franken, den Preisgeldern, die ich mit drei Freunden auf den Tisch gelegt habe. Wir haben überlegt, wie wir mehr machen können, als 350 Tausend in ein kleines Projekt zu stecken. Das ging eigentlich sehr rasch und hat nur 15 Jahre gedauert. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass die Ziele der Stiftung sehr gut angekommen sind – zumindest hier in der Schweiz. Auch das war nur möglich, weil wir nicht alleine gearbeitet haben, sondern mit lokalen Partnern.

Sie haben sich früher im politischen und institutionellen Rahmen für nachhaltige Agrarwirtschaft eingesetzt. Warum haben Sie sich dazu entschieden, eine Stiftung zu gründen?

Ich war 26 Jahre lang als Forscher und als Leiter verschiedener Forschungsinstitute tätig. Dort hat man eigentlich immer Geld für die Forschung und Ausbildung erhalten. Wir haben es aber nie fertig gebracht unsere Forschung an die Bauern zu bringen und stärker mit ihnen zusammen zu arbeiten. Das war auch nicht unbedingt unser Mandat.

Wenn man will, dass die Forschung auch etwas nützt für die Massen, dachten wir, muss man vielleicht eine Stiftung kreieren, mit der wir Mittel generieren, um diese Erfahrungen an die Bauern zu bringen. Es ging auch darum, die Erfahrungen der Bauern mit  den Ergebnissen dieser Forschung , weiter zu verbreiten. Dazu haben wir Projekte geschaffen wie eine Bauernzeitung, die wir mit einem Partner in Kenia produzieren und auf Englisch und Swahili die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die praktischen Erfahrungen mit Bauern in Ostafrika teilen können. Diese Wissensverbreitung läuft auch über Radio, die Internet-Plattform Infonet, SMS-Dienstleistungen und Kursen für die Bauern vor Ort. Damit erreichen wir rund 4 Milionen Bauern.  unseren Botschaften über nachhaltige Landwirtschaft. Der Wissensdurst dieser Bauern ist enorm; sie brauchen nicht so sehr  Zugang zu Material, Samen und Düngemittel, sondern sie brauchen Zugang zu Wissen.

Nichtsdestotrotz konzentrieren Sie sich auf die Umwelt. Beispielsweise haben Sie schon vor Gründung der Stiftung Biovision 1,6 Millionen Wespen mit einem tieffliegenden Flugzeug ausgesetzt, um Schädlingsbekämpfung zu betreiben. Was hatte es damit auf sich?

Das war das größte Projekt in Sachen biologische Schädlingsbekämpfung, das jemals unternommen wurde. Es ging um die Manjok-Schmierlaus. Manjok ist das Grundnahrungsmittel von über 200 Millionen Leuten quer über Afrika: Ein Riesengebiet – eineinhalb mal so groß wie die USA. Hier hatte sich die Schmierlaus innerhalb von drei Jahren vom Kongo bis nach Mosambik und Senegal ausgebreitet. Das hat einen Totalschaden bewirkt und nur tote Maniok-Felder hinterlassen. Da mussten wir sehr schnell handeln. Wir hatten herausgefunden wo der Schädling herkommt und haben dort auch Nützlinge gefunden, die diese Schmierlaus befallen und nicht ausrotten, aber unter Kontrolle bringen Wir haben diese Schlupfwespe dann zunächst in London und dann in Nigeria getestet und es funktionierte sehr gut. In den Feldern, wo wir das Insekt losgelassen haben, war das Problem innerhalb eines halben Jahres weg. Wir haben dann eine Fabrik in Benin aufgestellt, dort Millionenweise diese Nützlinge gezüchtet und sie so verpackt, dass man sie vom Flugzeug aus verteilen konnte – quer über den Kontinent. So haben wir das Problem innerhalb von zwölf Jahren permanent gelöst: Komplett ökologisch, mit null Kosten für die lokalen Bauern und nur 20 Millionen US Dollar für die Entwicklungsorganisationen. Dabei war auch die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit sehr stark beteiligt.

Von 2004 bis 2008 waren Sie auch Co-Vorsitzender des Weltagrarberichts (International Assessment of Agriculture Science and Technology for Development) und versuchen Nachhaltigkeit in ökonomischen und sozialen Aspekten zu fassen. Das zeigt Ihr Versuch, die Ergebnisse des Weltagrarberichts zu implementieren.

Der Weltagrarbericht wurde im Jahr 2002, im Auftrag von sechs Uno-Organisationen und der Weltbank in Auftrag gegeben. Das war im Rahmen des Weltnachhaltigkeitsgipfels Rio+10 in Johannesburg. Ziel war eine Bestandsaufnahme der globalen Landwirtschaft und und Wege für die Zukunft aufzuzeigen. Wir haben bis heute Nahrungsknappheit in vielen Regionen, leben aber in einer Welt von Überschüssen und Nachhaltigkeitsproblemen. Es wurden 400 Autoren zusammengebracht, um diesen Bericht zu schreiben. Mit der heutigen Umweltministerin  Kenias war ich einer von zwei Co-Vorsitzenden. Wir haben vier Jahre lang an dem Bericht geschrieben und auf über 2000 Seiten die Lage der Landwirtschaft und des Nahrungsmittelsystem auf globaler und regionaler Ebene beschrieben. Kurz gesagt sagte der Bericht: Wir können nicht weiter machen wie bisher. Wir müssen ein neues Paradigma für die Landwirtschaft und für Nahrungsmittelsysteme aufbauen. Das haben58 Länder unterschrieben. Eigentlich haben sie aber danach sehr wenig gemacht.

Was haben Sie denn in dem Bericht gesagt?

Wir haben gesagt, dass man in der Landwirtschaft keinen freien Handel haben kann zwischen Ländern, die nicht auf demselben Niveau sind. Wir waren auch sehr kritisch gegenüber dem Agri-Business, also der ganzen Geschichte der Bio-Technologie, Insektiziden, Pestiziden und Düngemitteln. Die Studien haben klar gezeigt, dass die Art Landwirtschaft, die auf Düngern und Hochleistungssamen basiert, nicht nachhaltig ist. Wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Das waren die Ergebnisse und in dem Programm „Kurswechsel in der Landwirtschaft“ der Stiftung Biovision und des Millennium Instituts versuchen wir das umzusetzen. Es soll auf nationaler Ebene neue Politiken geben, die diesen Kurswechsel erlauben.

Was sind also Ihre nächsten Ziele?

Erst einmal wollen wir drei Pilotprojekte in Kenia, Senegal und Äthiopien umsetzen. Dann suchen wir eine Möglichkeit, um die Erfahrungen aus diesen drei Ländern weiter zu geben. Man sollte sich eigentlich weltweit auf nationaler Ebene besser informieren, wo wir mit der Landwirtschaft sind und wie sich jedes Land einrichten soll, um nachhaltig zu produzieren und zu konsumieren.

Nach diesem Preis haben wir auch wieder einen Anschub gekriegt, um weiter zu machen in Sachen nachhaltige Landwirtschaft und Entwicklung. Ich bin auch selbst sehr stark involviert in der Transition zwischen den Millenniums-Entwicklungszielen und den Nachhaltigkeits-Entwicklungszielen nach 2015. Natürlich ist die Landwirtschaft zentral, wenn man nachhaltige Entwicklung anschaut. Das vergisst man immer, wenn man automatisch morgens, mittags und abends isst. Nahrung ist nicht einfach da. Man sieht bei den Staaten und bei internationalen Organisationen, dass Landwirtschaft immer als Letztes kommt, wenn es um Investitionen geht. Wir wollen nun dafür sorgen, dass die Landwirtschaft ganz oben steht, weil ohne Nahrung nichts passiert.

Vermutlich soll das aber nicht die Biovision-Stiftung alleine tun. Sonst hätten Sie sich auch kaum mit 140 weiteren Organisationen zusammengetan.

Auch das Dokument „Time to act“, das wir nach Rio gebracht haben, wurde von diesen 140 Organisationen aufgebaut. Diese Leute haben auch schon beim Weltagrarbericht mitgearbeitet. So haben wir einen starken Club auf der NGO-Seite, der zum Glück immer Druck macht, damit der Weltagrarbericht umgesetzt wird. Wir haben auch in der Rio+20-Deklaration die Forderung eingebracht, dass wir Landwirtschaft transformieren müssen. Wir haben auch durchgesetzt, dass das Committee on World Food Security beauftragt wurde, nationale Studien durchzuführen mit dem Ziel nachhaltiger Landwirtschaft. Jetzt sind wir daran, mit dieser Gruppe Einfluss auf die Nachhaltigkeitsziele nach 2015 zu nehmen. Dort wird die nächste große Kampagne laufen, um die Systeme umzubauen. Wir haben nun eine neue Chance und deswegen waren wir mit all diesen NGOs vor kurzem in Rom.

Sie haben auch das sogenannte 4-H-Paradigma entwickelt. Wie sieht das genau aus, wenn Sie beispielsweise in Kenia Projekte aufsetzen? Wie gehen Sie das an und setzen es um und welchen Zeitraum veranschlagen Sie dann?

Das 4-H-Paradigma steht für vier mal Gesundheit und damit fangen wir eigentlich in den Gemeinschaften an. Man muss dort sehen: Was sind die Probleme? Ist es menschliche Gesundheit, tierische Gesundheit, pflanzliche Gesundheit oder ein generelles Umweltproblem? Als ich das Insektenforschungszentrum in Kenia aufgebaut habe, standen natürlich Insekten im Zentrum. Wenn es um menschliche, pflanzliche, tierische oder Umwelt-Gesundheit geht, sind immer auch Insekten beteiligt. Entweder als Schädling, Nützling oder als Insekt, das man wie Seidenraupen oder Bienen nutzen kann, um uns in der Wirtschaft zu helfen.

Nehmen wir das Beispiel Insekten und Malaria. Das ist normalerweise ein Projekt zum Thema menschlicher Gesundheit. Da heilt man die Leute und ist dann weg. Die Leute haben dann aber nicht einmal das Geld, um sich die Bett-Netze zu beschaffen, und dann fällt alles wieder zusammen. Wir haben also gesagt: Wir müssen integriert und holistisch vorgehen, nicht einfach mit der Symptombekämpfung, sondern bei den Ursachen ansetzen.

Beispielsweise mit der Push-Pull Methode, wie sie in Kenia eingesetzt wird?

Push-Pull ist eigentlich ein Pflanzengesundheitsthema, in dem wir mit verschiedenen Pflanzen Schädlinge aus einem Feld heraus drängen und gleichzeitig vom Rand der Felder anzuziehen. Das versuchen wir mit der Tiergesundheit zusammen zu spannen. Wir produzieren in diesem System nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Futtermittel von Qualität. Das heißt die Tiere haben eine bessere Gesundheit. Damit gibt es dann mehr Milch und Fleisch und Geld. Wir versuchen also eine positive Spirale anzukurbeln, die immer weiter geht und immer mehr Entwicklungsteile einschließt. Wir helfen auch immer dort, wo die Leute sagen, dass sie etwas brauchen. Wir fangen dort an, wo sie sagen, dass das größte Problem ist.

Wenn Sie Verfechter eines solch ganzheitlichen Ansatzes sind: Wählen Sie auch für Ihr Stiftungskapital nachhaltige Anlagemodelle?

Wir machen eigentlich nur selten Anlagen. Die Finanzen, die da rein kommen, müssen wir jährlich für unsere Projekte und Vorhaben über Spendern und Stiftungen gewinnen. Wir haben natürlich auch Reserven aufgebaut, damit wir zumindest einmal sechs Monate arbeiten können ohne neues Geld. Eigentlich würde uns das Geld aber schnell ausgehen, wenn wir nicht ständig Geld suchen würden.

Wir konzentrieren uns also auf andere Stiftungen, haben aber auch 30000 Mitglieder und Gönner von der Stiftung Biovision in der Schweiz. Wir hoffen, dass wir das auch irgendwann auf Europa ausweiten können. Das ist natürlich mit gefährlichen Kosten verbunden. Der größte Teil des Geldes muss schließlich in Projekte nach Afrika gehen. Mit über 80 Prozent des Geldes klappt das.

Foto: © Biovision

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