„Nachhaltigkeit ist weiterhin ein großes Fragezeichen, auch im Fundraising“

Als das erste Fundraiser-Magazin im Herbst 2006 erschien, war darin auch ein Interview mit Dr. Friedrich Haunert, Berliner Organisationsberater mit den Schwerpunkten Fundraising und Organisationsentwicklung. In seiner 50. Ausgabe haben wir zehn Jahre Fundraising Revue passieren lassen und Friedrich Haunert wieder zum Interview gebeten.

Zehn Jahre sind ins Land gegangen seit unserem Interview 2006. Was machen Sie heute?

Ich begleite Veränderungsprozesse in zivilgesellschaftlichen Organisationen, berate weiterhin Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Berlin zu Fundraising, beschäftige mich mit CSR-Themen in kleinen und mittleren Unternehmen und bin der Fundraising Akademie noch immer stark verbunden.

 

Was hat sich im Fundraising am meisten geändert?

Allem voran die Professionalisierung, einhergehend mit einer stärkeren Ausdifferenzierung in Funktionen. Als Schwerpunkt sind alle Fragen rund um digitale Prozesse und Kommunikation, die Verzahnung von online und offline nicht mehr wegzudenken. In vielen Bereichen des Dritten Sektors haben sich eigene Fundraising-Kreise etabliert, sei es in Stiftungen, im Kultur-, Bildungs- oder Gesundheitsbereich.

 

Der Aktionismus vieler Organisationen und die fehlende Nachhaltigkeit im Fundraising waren in dem damaligen Interview ein großer Kritikpunkt. Ist das immer noch so?

Wir können heute noch stärker beobachten, wie sich die Organisationen mit professionellem Fundraising-Management von denen unterscheiden, die Fundraising als Kür betrachten. Stark geändert hat sich jedoch das Umfeld. Wir merken heute noch viel deutlicher als vor zehn Jahren, dass die Rahmenbedingungen geprägt sind von Volatilität und Unsicherheit, die ganze Gesellschaft ist im Dauermodus der Krise, Globalisierung spüren alle. Neue Organisationsformen, Planungsverfahren und Modelle zur Strategieentwicklung sind hinzugekommen, bei denen zwar nicht Aktionismus, aber doch so etwas wie Schnelligkeit, Agilität, Aushalten von Komplexität geradezu notwendig ist.

Daher wird öfter mit Prototypen wie trial and error gearbeitet, was auch nötig ist, denn alles ist noch viel weniger planbar. Vor zehn Jahren gab es keine Smartphones und Social Media spielte keine Rolle, niemand sprach von Social-Start-ups oder der Bedeutung von Wirkung. Nachhaltigkeit ist weiterhin ein großes Fragezeichen, auch im Fundraising. Kritisch würde ich es heute sehen, wenn eine Organisation sich der Komplexität nicht bewusst ist und auf die aktuellen Anforderungen nicht mit tiefgreifenden Änderungen reagiert.

 

Welche positiven Entwicklungen sehen Sie?

In vielen Organisationen reift die Erkenntnis, dass sie in Fundraising investieren müssen. Da haben etliche Kolleginnen und Kollegen aus dem Fundraising gute Arbeit geleistet, auch wenn sie immer noch dicke Bretter bohren müssen. Sie wissen um die zeitliche und absolute Begrenztheit ihrer Annahmen, haben aber praktikable Kennzahlen und Handwerkszeug entwickelt.

Viele Kollegen haben die Bedeutung von Coaching erkannt, beschäftigen sich mit Führungsfragen und Organisationsentwicklung. Themen wie Transparenz und Wirkung haben eine große Bedeutung erlangt. Die Digitalisierung wird als entscheidendes Zukunftsthema anerkannt. Wir entwickeln tragfähige Modelle einer Zusammenarbeit über Sektorgrenzen hinweg, Stichwort Firmenkooperationen, und sind durchlässiger für Ideen aus Start-ups. Die Bedeutung der Vermögenden für die Lösung von Zukunftsfragen rückt ins Blickfeld und somit eine tendenzielle Erweiterung des Fundraisings, in dem nicht nur Dialogmarketing seine Bedeutung hat, sondern auch und vor allem der Austausch mit Eliten über Nachhaltigkeitsthemen. Viele Organisationen haben stabile Beziehungen zu Menschen, die über Vermögen und Einfluss verfügen und sich engagieren. Bürgerschaftliches Engagement in jeder Form, nicht nur als Geldspende, wird im Fundraising heute positiv aufgenommen.

 

Was würden Sie am heutigen Fundraising am schnellsten ändern wollen?

Mehr zu wissen über die tatsächlichen Motive von Spenderinnen und Spendern, stärker in den nicht-marketinggetriebenen Austausch mit ihnen kommen, um gemeinsam die Probleme wirkungsvoll anzugehen.

 

Erbschaftsfundraising war auch 2006 ein Thema. Wie populär ist es denn heute, einer gemeinnützigen Organisation etwas zu vererben?

Wir müssen die nun erst wirklich ins Rollen kommende Erbschaftswelle richtig einordnen. Viele Erbende brauchen ihr Geld selbst, ein großer Teil der Bevölkerung erbt gar nichts und ein kleiner Teil erbt sehr große Vermögenswerte, an denen oft auch unternehmerische Verantwortung hängt. Das ist den Erblassern klar. Es wird weiterhin und auch intensiver Erbschaftsfundraising geben müssen, allein schon weil der Kommunikationsaufwand steigt. Und in zehn Jahren, wenn die höchste Welle abflaut, schauen wir mal.

 

Damals traten Sie gerade als stellvertretender Vorstand des Fundraising Verbands zurück. Sie organisieren aber immer noch die Treffen der Regionalgruppe in Berlin. Was bringt dieser Austausch den Beteiligten?

Der Fundraising-Treff Berlin ist immer gut besucht. Das hängt mit unserem sehr guten kollegialen Verhältnis untereinander zusammen. So gelingt es uns, wichtige Themen aufzugreifen und hervorragende Vortragende zu gewinnen. Die Teilnehmenden profitieren sowohl vom fachlichen Input als auch vom Netzwerk. Und der Verband profitiert vom guten Image der Veranstaltung, und die in Berlin ansässigen Vorstandsmitglieder nutzen die Gelegenheit für Werbung für den Verband.

 

Wie sehen Sie die Arbeit des Deutschen Fundraising Verbandes heute?

Ich freue mich sehr über den aktuellen Vorstand, der es geschafft hat, zusammen mit dem Geschäftsführer mit ruhiger Hand sehr viele Baustellen der Vergangenheit zu schließen. Vor allem die Transparenz, die Einbeziehung vieler Mitglieder auf faire Weise und die gemeinsame Bearbeitung von Verbandsthemen ist prima. Ich persönlich bin bewusst immer noch aktives Mitglied und werbe gern für den Verband.

Aus Ihrem Versprechen, sich für die Entwicklung der Zivilgesellschaft zu interessieren und zu engagieren, ist ihre ehrenamtliche Tätigkeit für Transparency International und die Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ) geworden. Was steckt dahinter?

Die ITZ bietet eine sehr einfache, kostenfreie Möglichkeit für gemeinnützige Organisationen, zehn Basisinformationen über ihre Arbeit mit einem Klick auf der eigenen Webseite zur Verfügung zu stellen. Wir sind nunmehr die größte Transparenzinitiative Deutschlands und freuen uns über starke Partner und ideelle Träger, wie zum Beispiel den Fundraising Verband, der eine Unterzeichnung dieser freiwilligen Selbstverpflichtung empfiehlt.

 

Wie mündig sind denn die Spender heute? Fragen Sie diese Transparenz überhaupt nach?

Es gibt nicht den Spender oder die Spenderin. Die Möglichkeiten sich zu informieren sind heute äußerst vielfältig und die transparente Berichterstattung, auch über die Wirkung, ist auf gutem Weg. Das nutzen die Menschen aber auf unterschiedliche Weise, über die wir leider noch sehr wenig wissen. Ich glaube, es ist für Spender wichtig, Vertrauen haben zu können und im Zweifel gute Antworten zu bekommen. Da wird seltener direkt nach Transparenz gefragt. Ein Logo wie das der ITZ gibt genau dieses Gefühl von Vertrauen. Bei Skandalen steigt dann regelmäßig die Bedeutung von Transparenz, übrigens auch von Steuerung und Kontrolle. Insofern ist Governance ein wichtiges Zukunftsthema.

 

Bei welcher Initiative hätten Sie heute Lust, sofort mitzumachen und warum?

Die rechte Gewalt, die von Demagogen geschürt wird, die Parolen und verbalen Attacken, die auf Demos und in sozialen Medien verbreitet werden – das macht mich wütend. Ich finde Initiativen, die sich dem in den Weg stellen, ungeheuer wichtig, weil sie Grundfragen der Zivilgesellschaft und Menschlichkeit auf der Agenda haben. Initiativen, die Nazis und Rechtspopulisten eine klare Haltung und Aktion entgegensetzen, brauchen alle Unterstützung.

 

Informationen zur Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ) finden Sie unter www.transparente-zivilgesellschaft.de

Interview: Matthias Daberstiel

Foto: privat

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