„Viele arbeitende Kinder empfinden das als ungerecht“

Peter Strack terre des hommes Bolivien - Verbot von Kinderarbeit?

Peter Strack leitet das Büro der Kinderrechtsorganisation terre des hommes in Bolivien. Derzeit diskutiert das Land umfangreiche Gesetzesänderungen, mit denen die Arbeit von Kindern rechtlich eingebettet werden soll. Im Interview mit unserem Autor Paul Stadelhofer erklärt Strack, warum er die Arbeit von Kindern und Jugendlichen nicht per se schlecht findet, warum terre des hommes im Internet Produkte von Kindern vertreibt und wie die Spender in Deutschland reagieren.

Sie beschreiben die Haltung von terre des hommes in Bolivien als eine ‚kritische Wertschätzung der Arbeit von Kindern und Jugendlichen‘. Was heißt das?

Die kritische Wertschätzung bezeichnet beide Elemente. Dass man Umstände, in denen Kinder ausgebeutet werden, kritisiert, andererseits aber auch, dass man das, was Kinder bei der Arbeit lernen oder machen, wertschätzen kann. Einerseits leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Versorgung ihrer Geschwister und dafür, dass sie die Schule besuchen und ihre Schulmaterialien selber bezahlen können. Auf der der anderen Seite wird aber so getan als sei das schlecht was sie tun und wenn es heißt Kinderarbeit muss verboten werden. Viele arbeitende Kinder empfinden das als ungerecht. In Bolivien ist ein ganz ausgeprägter Bereich die Arbeit von Kindern auf den Dörfern und auf dem Land. Sie helfen dort bei der Arbeit auf den Feldern und lernen, wie man sich unter extremen Bedingungen selbst versorgen kann, wie man genügend Nahrung produziert, um in Zeiten des Klimawandels ihren Lebensunterhalt zu sichern. All das kann Arbeit auch bedeuten, wenn sie nicht ausgebeutet wird und unter unmenschlichen Bedingungen stattfindet. Sprich: Produktive Tätigkeit.

Können Sie das Thema Kinderarbeit in Bolivien in Zahlen fassen?

In Bolivien besuchen 80 Prozent der erwerbstätigen Kinder zwischen 10 und 14 Jahren die Schule. Bei den Kleineren liegt es auch in dieser Größenordnung. Bei den 7-Jährigen sind es ungefähr 3,4 Prozent der Kinder, die erwerbstätig sind. Laut den letzten Volkszählungen ungefähr 7.000 Kinder, die mit sieben Jahren bereits erwerbstätig sind. Das geht dann hoch bis 14 Jahre auf ungefähr 13,4 Prozent.

In welchen Bereichen sind die Kinder tätig?

59 Prozent arbeiten in der Landwirtschaft, 32 Prozent sind im Dienstleistungsbereich und 7 Prozent sind im Bau oder Bergbau tätig. Eine spannende Zahl noch dazu: Bei den10 bis 14jährigen gibt es in Bolivien 17.987 Angestellte und 34.375 Selbständige im informellen Sektor. Hinzu kommen noch knapp 21.000, die Lehrlinge sind oder in Familienbetrieben arbeiten. Bei den 15 bis 19 jährigen gibt es 124.449 Angestellte und 97.811 Selbständige im informellen Sektor. Außerdem gibt es in Bolivien 4305 Jugendliche im Alter zwischen  15 und 19 Jahren, die selbst einen Betrieb haben und andere anstellen.

Ist terre des hommes in Bolivien auch ein Partner der Vereinigung arbeitender Kinder und Jugendlicher (UNATSBO)?

Ja. Die UNATSBO ist ein Projektpartner von uns. Zu den Verhandlungen des neuen Gesetzesentwurfes waren auch alle paar Wochen Vertreter aus den Provinzen in La Paz. Die unterstützen wir punktuell, gerade für ihre Mobilisierung. Wir haben sie auch damals unterstützt, als sie sich bei der Gestaltung der neuen Verfassung für eine differenzierte Einschätzung und Darstellung der Kinderarbeit eingesetzt haben. Wir haben auch Projekte vor Ort, wie die Sozialpastoral von Potosi und Caritas. Die unterstützen wir bei der direkten Begleitung einer Organisation in Potosi, die 800 Kinder ausmacht von den insgesamt 7000 erwerbstätigen Kindern vor Ort. Da kommen dann zur politischen Arbeit, die wir über die UNATSBO unterstützen, auch ganz konkrete Maßnahmen wie schulische Nachhilfe, einkommensschaffende Maßnahmen und Ausbildungsprogramme, damit sie unter besseren Bedingungen mehr Geld verdienen können in weniger Zeit. Wir unterstützen es auch, dass sie sich mit den staatlichen Stellen zusammensetzen und dass vor Ort Angebote für die Kinder geschaffen werden, wie zum Beispiel eine kostenlose Gesundheitsversorgung.

Wie kommunizieren Sie das Thema Kinderarbeit gegenüber Ihren Spendern in Deutschland?

Als das neue Gesetz bekannt wurde und hier durch die Presse ging, gab es auch einige Proteste und kritische Anmerkungen dazu, dass es unmöglich sei wenn die Arbeit ab einem Alter von 10 Jahren erlaubt werden soll. Uns geht es aber um den Schutz und um die Rechte dieser Kinder und nicht um die Frage des Verbots. Solche Positionen erarbeiten wir gemeinsam mit den Kindern. Wir hören den Kindern zu und wollen wissen, wie sie ihren Alltag erleben. Wir haben sie zum Beispiel dabei unterstützt, dass sie ihre Vorschläge und ihre Ideen in eine Rechtssprache übersetzen können. Auch in Deutschland muss man vieles übersetzen, weil die Lebenssituation der Kinder anders ist. Warum das neue Gesetz nun also besser ist als das alte, muss man auch in die hiesige Wirklichkeit übersetzen. Wir müssen also versuchen zu erklären, wie der Lebensalltag dort ist, wie die rechtliche Situation dort ist und wie die Möglichkeiten des Staates sind.

Sie befürworten die Gesetzesüberarbeitung also?

Es hat die Kritik gegeben, dass das überzogenes Pragmatismus sei. Wir sehen das anders. Es ist schwer einfache Antworten und Lösungen zu finden bei so komplizierten Fragen, von denen das Leben von tausenden von Kindern auf dem Spiel steht, wo es aber gleichzeitig um das Wirtschaftsmodell und die Wirtschaftspolitik eines Landes geht. Ich glaube weder die Kinder noch die Erwachsenen können genau sagen was die optimale Lösung ist. Was wir machen können, ist auf die Kinder zu hören und selber mitzudenken; offen sein für neue Ideen und neue Vorschläge; genau beobachten und dann überlegen was man anpassen kann, damit es die Kinder sind, die am Ende einen Nutzen von der Debatte und von der Politik haben.

Es gab vor kurzem auch Diskussionen darüber, dass Produkte von Kinderarbeit in Weltläden und über Fairtrade gehandelt werden.

Wir haben auch in unserem terre des hommes Shop Produkte die von Kindern hergestellt werden, unter würdigen Bedingungen, wo es Teil eines Lernprozesses ist. Das sind T-Shirts, die in Peru bedruckt werden, wo viel Kreativität eine Rolle spielt und wo die Kinder Spaß haben an der Arbeit. Das machen wir aber nicht, um neue Märkte zu erschließen, sondern um zu zeigen was Kinder können und unter welchen Bedingungen Arbeit stattfinden kann, die für Kinder nicht schädlich ist, sondern die ihnen nutzt, ein Einkommen bringt und dabei hilft sich ganzheitlich zu entwickeln. In Deutschland kennen wir solche Modelle aus dem dualen System für Ältere. Das ist grundsätzlich auch nicht falsch für Kinder, die jünger als 14 Jahre sind.

Sie halten das für kein schwieriges Thema in der Kommunikation mit ihren Spendern?

Ich glaube, dass dafür bisher noch wenig Verständnis da ist. Unseren Spendern ist aber klar, dass wir uns an den Rechten der Kinder orientieren. Wir nehmen die Interessen der Kinder sehr ernst und da wäre es widersprüchlich, wenn wir so tun, als wüssten wir alles besser. Die Kinder zeigen uns ja, dass sie es schaffen aus der Armut raus zu kommen und für die nächste Generation bessere Bedingungen zu schaffen. Es gibt auch Kinder die sagen: 'Ich würde am liebsten heute aufhören zu arbeiten, wenn das möglich wäre.' Wenn da irgendwer kommt und ein Angebot macht - und im neuen bolivianischen Gesetz sind einige Möglichkeiten vorgesehen - werden sie das annehmen. Es gibt andere Kinder die sagen: 'Ich komme gut in der Schule voran aber die Arbeit bringt mir mehr als nur Geld. Da bin ich mit Freunden zusammen, da habe ich Zeit zu spielen und ich lerne Dinge, die wichtig sind für mein Leben.'

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