Berliner Sozialamt rechnet Spenden gegen Wohngeld auf

Berliner Sozialamt berechtet Tafelspenden als Einkommen und leht Wohngeldantrag ab
Essensausgabe bei der Berliner Tafel in Tempelhof

Darum geht's: Tafelspende, Wohngeld, Skandal, Sozialamt, Berlin

Dass es im reichen Deutschland Tafeln geben muss, ist eigentlich schon ein Skandal. Doch das Berliner Sozialamt ging noch einen Schritt weiter. Es berechnete einem Wohngeld-Antragsteller Tafelspenden als Einkommen und lehnte den Antrag deswegen ab.

Schon länger wird darüber diskutiert, dass die Tafeln eigentlich Fürsorgeleistungen erbringen und den Staat so entlasten, ohne dafür vom Staat Gelder zu erhalten. Im Gegenteil: Die Tafeln sind stolz darauf, sich über Sachspenden und Spenden aus der Bevölkerung solidarisch zu finanzieren und Lebensmittel zu retten. Dass viele Kommunen die Tafeln als verkappte Sozialhilfe und Ausweg aus Hartz IV betrachten, wurde ebenfalls vielerorts schon kritisiert. Doch das Berliner Sozialamt ging nun noch einen Schritt weiter, indem es die Tafelspenden als Einkommen betrachtete, als wären es staatliche Fürsorgeleistungen.

Tafelspende als „Sachbezug Tafel“

Was war passiert: Im Sommer 2018 stellte ein Berliner in Berlin-Lichtenberg einen Antrag auf Wohngeld und gab an, Lebensmittel von einer „LAIB und SEELE“-Ausgabestelle zu beziehen. LAIB und SEELE ist eine Aktion der Berliner Tafel, der Kirchen und des rbb. Das Bezirksamt reagierte mit einem Bescheid, in dem es dem Antragsteller 2.892 Euro pro Jahr als „Sachbezug Tafel“ und damit als Einkommen anrechnete. Der Mann legte Widerspruch ein, der im Frühjahr 2019 abgelehnt wurde.

Amt berechnet völlig willkürlich

In der Ablehnung des Widerspruchs führt das Amt aus, dass es den Wert der als Sachbezug zur Verfügung gestellten Verpflegung durch die Tafel auf monatlich 241 Euro festsetzt. Es ging dabei von 51 Euro für das Frühstück, 95 Euro für das Mittagessen und 95 Euro für das Abendessen pro Monat aus. Dass die Ausgabestelle der Tafel nur einmal die Woche geöffnet hat und dass die Menge der abgegebenen Lebensmittel immer nur für wenige Tage reicht, niemals aber eine vollständige Versorgung darstellt, ignorierte das Amt.

Diakoniedirektorin Barbara Eschen (li.) und Tafelchefin Sabine Werth kritisieren das Berliner Sozialamt scharf.

Tafelspenden als staatliche Leistung?

Besonders befremdlich ist aber die unzulässige Anrechnung von freiwilligen Lebensmittelspenden als Sozialleistung. „Der Staat hat eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern, der er nachkommen muss. Diese Pflicht darf in keiner Weise mit dem gemeinnützigen, ehrenamtlichen und freiwilligen Engagement der Berliner Tafel verrechnet werden“, sagt Tafelchefin Sabine Werth.

Bereits bei ihrer Gründung vor 26 Jahren hat sich die Berliner Tafel bewusst gegen öffentliche Fördergelder entschieden: einerseits, um nicht die Zuwendungen für andere soziale Einrichtungen zu schmälern und andererseits, um unabhängig zu bleiben und genau dieser unrechtmäßigen Verquickung von staatlicher Pflicht und ehrenamtlichem Engagement vorzubeugen.

Auch die Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz kritisierte das Vorgehen scharf: „Essensspenden der Tafel bei der Wohngeldberechnung als Einkommen zu werten, ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel. Tafeln sind ein ehrenamtlich organisiertes Angebot, das Menschen mit geringem Einkommen zusätzlich unterstützt. Sie dürfen niemals als Ersatz für grundgesetzlich garantierte Sozialleistungsansprüche herhalten müssen. Diese Leistungsansprüche mit dem Verweis auf ein freiwilliges Spendenangebot zu verweigern, ist ein Offenbarungseid unseres Sozialstaatsprinzips", so Diakoniedirektorin Barbara Eschen.

Gefährliche Verquickung

Dieses Beispiel zeigt, wie sorglos der Staat das Thema Spenden bewertet. Wie selbstverständlich er mittlerweile die Leistungen der Gemeinnützigen betrachtet, erläutert Eschen an einem Beispiel. „Aus unseren Beratungsstellen kennen wir eine ähnliche Praxis durchaus: Jobcenter verweisen regelmäßig auf die Tafeln, um den Zeitraum zwischen Antragstellung und Auszahlung von Grundsicherungsleistungen zu überbrücken. Statt den Leistungsberechtigten den ihnen zustehenden Vorschuss zu zahlen oder zustehende Essensgutscheine auszuhändigen, schickt man sie zu den Tafeln.“

Dass der Staat eine freiwillige Leistung quasi als Sozialleistung vergesellschaftet und willkürlich als eigene Leistung anrechnet, ist ein weiterer Höhepunkt dieses „Missverständnisses“. Das lässt allerdings auch die kürzlich aufgestellte Forderung des Bundesverbandes deutscher Tafeln nach einer staatlichen Unterstützung zur Grundfinanzierung der Tafel-Arbeit nun in einem anderen Licht erscheinen. Die Berliner Tafel distanzierte sich deshalb bereits von dieser Forderung, um dem Staat nicht noch mehr Alibi zu geben.

Text: PR, Matthias Daberstiel
Fotos: Bundesverband deutscher Tafeln, Dagmar Schwelle und DWBO/Gonswa

Kommentar des Autors: Nach Recherchen der TAZ hat das Sozialamt die Einnahmen der betroffenen Person bewusst mit Hilfe der "Tafeleinnahmen" nach oben gerechnet, damit er überhaupt für Wohngeld antragsberechtigt wird. Ich sehe hier trotzdem eine nicht hinnehmbare Verquickung von ehrenamtlichen und staatlichen Leistungen, die zeigt, wie staatliche Institutionen über den dritten Sektor denken und ihn bewerten. Das Beispiel der Diakonie zeigt außerdem, das dies durchaus Alltag ist. 

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